LmL - oder ...
Am kommenden Freitag steht mein Workshop an. Ein Workshop mit Führungskräften eines Mittelständlers zum Thema „Ressourcenmanagement“.
Noch eine Woche Zeit. Eigentlich ausreichend für das Briefing. Eigentlich .... . Das Telefonat mit dem Geschäftsführer ist für heute 10 Uhr terminiert. Kurz vor 10 Uhr erhalte ich eine SMS meines Gesprächspartners: „Bin noch im Termin, melde mich um 14 Uhr“. Prima. 14 Uhr – kein Telefonat. 14.15 Uhr eine E-Mail: „Sorry, Termin Prio 1 dazwischen gekommen, passt 17 Uhr?“. 17 Uhr – der Anruf der Assistentin mit der Bitte, sich auf 18 Uhr zu vertagen. Und das klappt dann tatsächlich.
Der Geschäftsführer entschuldigt sich für die Verschiebungen und berichtet von einem dringenden Ad-hoc-Termin in der Geschäftsführung, seinem brennenden Projekt, in dem er Feuer löschen musste, und der Mitarbeiterin, die eine andere Position übernimmt und deren Arbeit umverteilt werden musste. Dazu seine Frau auf Dienstreise und die beiden halbwüchsigen Kinder, die „mal so nebenbei“ versorgt werden müssen. Und sein Schreibtisch, der sähe aus wie ein Schlachtfeld.
OK, alles verständlich. Aber sind das nicht die Situationen, die uns in dieser oder ähnlicher Form tagtäglich auf Trab halten? Und die uns nicht zu unseren wirklich wichtigen Aufgaben kommen lassen?
Rein rational weiß das auch mein Gegenüber. Aber im Tagesgeschäft ist eben alles ganz anders. Die To-Do-Liste wird immer länger und länger und unser Energielevel ist im Keller.
Immer wieder schliddern wir (natürlich nicht Sie ;-) !) in solche Situationen und wissen nicht, wo uns der Kopf steht. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wir jagen von einem Thema zum nächsten, von einem zu löschenden Feuer zum nächsten. Wir erhöhen die Schlagzahl, machen immer mehr, immer schneller – dabei auch gern den einen oder anderen Fehler (auch nicht Sie, klar!). Multitasking wird alltäglich und vermeintlich zur Perfektion getrieben.
Aktionismus vernebelt
Was ist der Preis für dieses immer schneller, immer mehr? Wahrscheinlich kennen auch Sie es: Die Dinge, die wirklich wichtig sind, die uns am Herzen liegen und die unsere Aufmerksamkeit verdienen, bleiben dabei auf der Strecke. Aktionismus löst keine Probleme sondern potenziert sie. Und vernebelt unseren Blick. Statt Aktionismus ist vielmehr überlegtes geplantes Handeln gefragt.
Aber wie geplant handeln in einer Situation, in der alles brennt und nach sofortiger Aufmerksamkeit nahezu brüllt? Gerade wenn alles dringend und noch dringender zu sein scheint, hilft das Erhöhen der Schlagzahl überhaupt nicht. Der erste Schritt heißt vielmehr: Innehalten und aus der so gewonnenen Perspektive auf das aktuelle Geschehen und dessen Prioritäten schauen. Also das eigene Tun reflektieren.
Was sich wie ein Paradoxon anhört, ist der einzige Weg aus dem Irrsinn: sich eine Auszeit nehmen und die Prioritäten neu ordnen. Denn genau die sind üblicherweise in dem alltäglichen Wahnsinn verloren gegangen.
Also, raus aus dem automatischen, reflexhaften Aktionismus und rein in die Reflexion. Klar - das fordert Zeit. Und gerade wenn Sie keine Zeit haben, müssen Sie sich die nehmen! Das ist eine Entscheidung. Ihre Entscheidung, die Sie bewusst und für sich selbst treffen müssen.
Blockieren Sie sich Zeit für diese Reflexion in Ihrem Kalender. Verabreden Sie sich mit sich selbst. Dieser erste Schritt macht den Unterschied zwischen hektisch getrieben sein und bewusst entscheiden.
Fragen statt Antworten
Und diese Auszeit mitten im Chaos nutzen Sie und stellen sich Fragen: Was ist mir wichtig? Hand aufs Herz: wirklich wichtig? Und was scheint nur so oder schreit besonders laut um Aufmerksamkeit? Und: Wofür stehe ich? Was sind meine Werte? Was treibt mich jeden Tag an? Was sind meine Ziele? Und wie erreiche ich diese Ziele? Was ist dringend? Was kommt zuerst?
Wenn Sie also beispielsweise eine anerkannte Führungskraft sein, dabei auch den Anforderungen Ihrer Familie gerecht werden wollen – tja, dann sollten Sie sehr genau überlegen, wie Sie diese Ziele erreichen. Und wie Sie sich auf dem Weg dorthin nicht verzetteln, sondern vielmehr wie Sie es bewerkstelligen, alle Anforderungen und die eigenen Ansprüche zu vereinbaren. Klärung Ihrer eigenen Prioritäten, wechselseitiger Erwartungen, Spielregeln und Grenzen, aber zum Bespiel auch überlegtes Delegieren sind nur einige hilfreiche Maßnahmen.
Damit sind wir beim Kern: Eine solche Selbstreflexion ist elementarer Bestandteil der Selbstführung. Und Selbstführung ist DIE Grundlage für die Führung anderer. Oder wie wollen Sie andere führen, ihnen Aufgaben geben, Ressourcen zuweisen, wenn Sie das für sich selbst nicht schaffen?
Also: Nehmen Sie sich die Zeit für Selbstreflexion. Für den eigenen kühlen Kopf und die richtigen Entscheidungen – im Tagesgeschäft und überhaupt. Für sich selbst und die eigene Weiterentwicklung. Um stets den Fokus richtig zu setzen.
Auch und vor allem in den Situationen, in denen es nicht ganz glatt und smart läuft. Im wahren Leben eben, in dem unvorhergesehene Dinge wie zum Beispiel eine überraschende Kündigung die schönste Zielsetzung in Frage stellen können. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn gerade in solchen Situationen bewährt sich geübte Selbstreflexion.
Rituale statt Blaupause
Natürlich habe auch ich für meine zahlreichen Coachees und für mich selbst festgestellt, wie schwierig es ist, eine solche Auszeit für Reflexion in den Alltag zu integrieren. Ja, das kann eine Herausforderung sein. Und es gibt kein Geheimrezept. Sie müssen für sich selbst prüfen, was für Sie, Ihren Tages- / Wochenrhythmus passt und was sich wie integrieren lässt.
Die ideale Zeit für diese Selbstreflexion ist für mich die Zeit, die ich nahezu täglich im Auto verbringe. Auf dem Weg von Terminen stelle ich mir Fragen:
- Was ist gestern / in den vergangenen Tagen passiert? Womit habe ich meine Zeit verbracht?
- Was war gut und macht mich zufrieden?
- Was war vielleicht nicht so gelungen? Und ärgert mich vielleicht auch?
- Was hätte ich anders machen können?
- Welche Aufgaben / Themen habe ich priorisiert?
- Inwiefern haben diese Themen auf meine Ziele und Werte eingezahlt?
- Wann habe ich mich wieder treiben lassen von vermeintlich dringlichen Themen?
- Was kann ich tun, um das zu verändern?
Bei einigen meiner Coachees hat sich der Spaziergang nach der Mittagspause oder auch der erste Kaffee zum Start in den Tag für diese Auszeit bewährt.
„Keine Zeit“ gilt nicht
Ja, die ehrlichen Antworten auf diese Fragen können erst einmal Überwindung fordern. Es ist schließlich nicht immer einfach, sich und sein Tun selbst zu reflektieren und so möglicherweise auch die Diskrepanz zwischen eigenen Ansprüchen, Zielen und dem wahren Leben im Alltag zu erkennen.
Womit wir wieder bei der Falle wären, die schnell zuschnappt: „Dazu habe ich keine Zeit“. Denn niemand stellt sich gern kritische Fragen – und wir haben ja so viel zu tun. In diesem Sinn: „Dazu habe ich keine Zeit“ gilt nicht. Das ist – Hand auf’s Herz –ein Vorwand, den Sie sich sparen sollten.
Also – überwinden Sie sich. Nehmen Sie sich die Zeit fürs Reflektieren. Damit Sie der Aktionismus-Falle entkommen.
Zum Schluss: Selbstreflexion ist übrigens keine Nabelschau oder gar esoterische Selbstbeweihräucherung. Sie ist vielmehr ein zwingender Schritt auf dem Weg zur eigenen Weiterentwicklung und zur Verbesserung der eigenen Wirksamkeit. Denn nur so können Sie sich und Ihrer Umgebung das Leben im alltäglichen Wahnsinn erleichtern.
Ach so – eine Erklärung bin ich Ihnen noch schuldig: LmL in der Überschift steht für "Lemminge mit Laptop" (und in diesem Fall nicht für "Love My Life" oder „Laughing Mad Loud“).
Und nun wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Reflektieren!
Sabine Dietrich
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